Reflexion als theoretisches Konzept?

Metaphorische Konzepte sind im wissenschaftlichen Sprachgebrauch verpönt. Begegnet uns eine Metapher in einer Arbeit, die wir betreuen, bitten wir in aller Regel die Person, die sie verwendet hat, eine prägnantere Formulierung zu finden oder das Argument durch Explizieren der Prämissen eindeutiger darzustellen.

In letzter Zeit begegnen mir immer wieder Metaphern auch an zentralen Stellen von theoretischen Beiträgen, die allgemein als „wissenschaftlich akzeptiert“ gelten können. Eine dieser Metaphern, die dazu noch in den verschiedenen Referenztexten zur Bezeichnung jeweils sehr unterschiedlicher Zusammenhänge verwendet wird, ist Reflexion.

Als vor einem halben Jahr nun eine EARLI-Tagung in Tartu (Estland) angekündigt wurde, die sich mit „theoretical and empirical studies on the broad theme of reflection in education“ befasst, habe ich mich recht schnell mit einem eigenen Beitrag beworben, der zu der Zeit nicht viel mehr als eine erste Idee war, die sich aus der Verwunderung über den diversifizierten Gebrauch dieses Konzepts entwickelt hatte. Natürlich ist die Kritik an Metaphern in der Wissenschaft alles andere als neu. In der Nature-Ausgabe vom Juli 2003 findet sich bspw. auch ein ziemlich eindeutiger Beitrag aus der naturwissenschaftlichen Richtung, der gegen den Gebrauch von Metaphern in wissenschaftlichen Texten plädiert — nur einer der prominenteren von vielen Beiträgen dieser Art.

Heute Morgen habe ich nun hier in Tartu in einem eigenen 45-Minuten Diskussions-Panel meinen inzwischen (d.h. im Vergleich zum ersten Abstract) freilich präzisierteren und gründlicher recherchierten Beitrag (s. Programm) vorgestellt, der den Gebrauch des Konzepts „Reflection“ in verschiedenen Kontexten mit Bezügen zum Lehren und Lernen und seinen jeweiligen terminologischen Referenzbegriffen kritisch analysiert und hinterfragt.

Das Format war bereits so angelegt, dass viel Raum für diskursiven Austausch und Interaktion gegeben war: Meine kurzen Impulsbeiträge, die vorab ein Double-Review-Verfahren durchlaufen hatten, wurden nun von meinen beiden Reviewern flankiert und durch einen Moderator organisatorisch so strukturiert, dass eine kontinuierliche Einbindung der Zuhörer-Fragen stattfand. Das hat eine aus meiner Sicht sehr gute, fundierte und vielschichtige Diskussion ermöglicht, die ich auch noch im Rückblick als ausgesprochen anregend empfinde.

Ich möchte hier gar nicht näher referieren, welche Texte und Konzepte ich angeschaut habe. Mir geht es um die Frage, ob es überhaupt notwendig ist, den metaphorischen Sprachgebrauch als per se problematisch anzusehen: Legt man nämlich die kritische Perspektive mal für einen Moment beiseite, wie einer der Wissenschaftler in diesem Panel vorgeschlagen hat, dann werden auch Potentiale von Metaphern in wissenschaftlichen Beiträgen sichtbar. So können Metaphern ja durchaus auch zur theoretischen Klärung beitragen, und so habe ich es noch gar nicht gesehen. Ich habe eben in der Mittagspause mal ein paar Diskursquellen und Literaturhinweise aus der Diskussion nachgeschlagen: Es gibt wohl im Anschluss an die kognitive Semantik (bspw. Lakoff & Johnson, 1980; Lakoff & Turner, 2009) eine Bewegung, die Metaphern als eine Art „kognitives Tool“ versteht. Die Idee ist (wenn ich sie richtig verstanden habe), dass wir anhand von Metaphern unsere Erfahrung auf einer ganz basalen Ebene ordnen und dieser Vorgang konstitutiv für jede mentale Konstruktion von Sinnzusammenhängen ist:

„Basic conceptual metaphors are part of the common conceptual apparatus shared by members of a culture. They are systematic in that there is a fixed correspondence between the structure of the domain to be understood (e.g., death) and the structure of the domain in terms of which we are understanding it (e.g., departure). We usually understand them in terms of common experiences. […] Their operation in cognition is almost automatic. And they are widely conventionalized in language, that is, there are a great number of words and idiomatic expressions in our language whose meanings depend upon those conceptual metaphors“ (Lakoff & Turner, 2009, p. 51).

Im Anschluss an dieses Verständnis wird metaphorische Rede als etwas verstanden, das unserer Sprache in ihren basalen Strukturen immanent ist — und nicht als etwas, das eine Abweichung von einem „normalen“ oder „regulären“ Sprachgebrauch darstellt.

In eine ähnliche Richtung argumentiert mit Blick auf wissenschaftlichen Sprachgebrauch auch seit einigen Jahren eine Reihe an Forschern, die vorrangig aus naturwissenschaftlichen Zusammenhängen kommen. Theodore L. Brown hat 2003 wohl ein schönes Buch darüber geschrieben, das ich mir näher ansehen werde (aufschlussreicher Review dazu hier).

Vielleicht muss ich meine (allzu?) kritische Haltung gegenüber Metaphern in der Wissenschaftssprache etwas relativieren. Gerade wenn es um die Beschreibung abstrakter Zusammenhänge geht, können ja Metaphern manchmal gezielt dazu beitragen, diese zu veranschaulichen (wobei natürlich die Metapher allein nicht reicht…)

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