Zur philosophischen und politischen Relevanz einer Hochschulbildungsforschung

Am 02.10.17 von 17.00-18.30 Uhr findet die nächste Ringvorlesung im Hamburger Zentrum für universitäres Lehren und Lernen (HUL) statt. Prof. Dr. Ines Langemeyer wird zum Thema der philosophischen und politischen Relevanz einer Hochschulbildungsforschung vortragen. Ort ist Raum 2018 in der Schlüterstraße 51.

Wir freuen uns auf interessierte Gäste!

Zum Inhalt:

Wir stehen heute vor der Aufgabe, eine Hochschulbildungsforschung zu begründen, die sich ihrer eigenen philosophischen und politischen Relevanz bewusst ist. Mit dieser Aufgabe ist mehr gemeint, als bspw. durch Forschung Licht ins Dunkel von politischen Entscheidungen (etwa des Bologna-Prozesses, der Modularisierung, der Outcome-Orientierung heutiger Studiengänge oder der Maßnahmen im Qualitätspakt Lehre) zu bringen, indem man die jeweiligen Folgen solcher Veränderungen überprüft. Dies ist freilich wichtig. Darüber hinaus muss aber auch eine kritische Selbstreflexion erfolgen, wie Hochschulbildungsforschung ihre Erkenntnisse in einen allgemeinen Denkhorizont einordnet, wie sie überhaupt ihre Fragen und Probleme aufwirft und schließlich politische Entscheidungen mit beeinflussen will. Die wesentlichen Fragen werden exemplarisch anhand des Positionspapiers des Wissenschaftsrats zur Strategiebildung durch Lehrverfassungen (vom 28.04.17) erläutert. Denn auch der Wissenschaftsrat entwirft hier ein Modell von Wissenschaft und Politik, in dem wissenschaftliche Ergebnisse als Grundlage von politischen Entscheidungen und Forschungen als Instrument einer Qualitätssicherung gedacht werden. Dieses Modell wird der Vortrag jedoch hinterfragen und Alternativen dazu aufzeigen.

Folgende Thesen dienen als Leitfaden:

  1. Lehrverfassungen sind wie zwei Seiten eines Blattes nicht vom Wissenschaftsverständnis zu trennen. Der Streit darüber entzündet sich nicht eigentlich an der Qualitätsfrage, was wir als „gute“ oder „schlechte“ Lehre beurteilen, sondern an der Grundfrage, was Wissenschaft ist bzw. sein sollte. Der Streit ist entlang der wissenschaftlichen Paradigmen, in denen geforscht wird, zu führen. Er müsste heute insbesondere durch eine Erneuerung des Positivismusstreits geführt werden.
  2. Zu klären ist das Verhältnis von Wissenschafts- und Gesellschaftssystem. Dass Universitäten nach Auffassung des Wissenschaftsrats über Lehrverfassungen in einen Wettbewerb eintreten und über den Prozess der Profilbildung eine Nische (eine bestimmte Klientel) finden (sollen), ist mitnichten ein wissenschaftsimmanenter Vorgang, sondern ein politischer. Diese Idee zeugt von einem marktliberalen Grundverständnis, das die Form der Politik vorrangig in der Form der Marktbeziehungen denkt. Es misst dem Markt einen höheren Wert bei, als anderen Formen politischen Handelns. Dies impliziert, dass Vernunfturteile, die den Kern wissenschaftlicher Praxis betreffen und durch kritisches Denken zu erringen wären, vorab pauschal in den Markt als Vernunftinstanz hineinprojiziert werden.
  3. Der Streit um Lehrverfassungen ist ein Streit zwischen den Perspektiven, die die Universität entweder als Organisation oder als Institution zu begreifen (auch wenn sie immer beides ist). Vom Standpunkt einer Organisation, reihen sich Lehrverfassungen unweigerlich ein in das Repertoire von Steuerungsinstrumenten des Managements. Sie werden Teil einer Strategie, einer Sammlung von Anreizstrukturen („Förderinstrumenten“) und einer Corporate Identity, auf die die Mitglieder einer Organisation (zwangs-)verpflichtet werden. Spricht man über Lehrverfassungen jedoch als Element der Institutionalisierung wissenschaftlicher Praxis, könnten sie ein allgemeingültiger Rahmen von Rechten sein, auf die jeder Einzelne sein Handeln im Feld der Wissenschaft gründen kann. Entsprechend würden Lehrverfassungen Möglichkeitsbedingungen für eine bestimmte wissenschaftliche Praxis institutionell vordenken. Sie würden keine Lehrmethoden und -ziele festlegen, sondern Rechte enthalten, mit denen sich die Universität selbst darauf verpflichtet (ihr Selbstverständnis daran ausrichtet), dass etwa die Einheit von Forschung und Lehre gegenüber Tendenzen der Ausgliederung von Forschung und der Indienstnahme von Studiengängen für bestimmte politische oder wirtschaftliche Interessen zu verteidigen und zu wahren ist, dass Freiheit in Forschung und Lehre im Konkreten das und das bedeutet und dass der Beschneidung dieser Freiheit durch bestimmte Maßnahmen Grenzen gesetzt sind. Ebenfalls könnte eine Lehrverfassung intendieren, die Verbindung von Einzelwissenschaft und Allgemeiner Wissenschaft lebendig zu halten, um Erkenntnisse aus der Spezialisierung von Forschungszweigen wieder einer Forschung zuzuführen, die nach der allgemeineren Einordnung und Bedeutung dieser Erkenntnisse für die jeweilige Wissenschaft fragt. Dies würde die Frage der Kooperation und der Gemeinschaftsbildung einerseits zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, andererseits zwischen Lehrenden und Studierenden aufwerfen.
  4. Der Streit um die Hochschulbildungsforschung lässt sich nicht durch einzelne Erkenntnisse aus der Lehr-Lernforschung oder der Hochschulforschung lösen, da die Relevanz solcher Erkenntnisse nicht ohne eine Allgemeine Wissenschaft auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Bildung beurteilt werden kann. Entsprechend bedarf es philosophischer Forschung, Erkenntnisse, die zunächst von anderen Disziplinen und damit von anderen Problemsichten und Strategien getragen waren, in einen eigenen Rahmen stellen zu können. Diesen Rahmen zu erarbeiten, heißt, ein Stück über den bisherigen Erkenntnisstand hinaus zu denken und die Reichweite des Forschungsfeldes selbst zu erweitern. Es geht also weniger um eine definitorische Ein- und Abgrenzung, was Hochschulbildungsforschung ‚eigentlich‘ ist oder sein sollte, sondern um die Grundlage ihrer wissenschaftlichen Eigenständigkeit. Diese besteht darin, dass sie sich selbst als Wissenschaft zu suchen beginnt.