Rhetorik als „Vermittlungswissenschaft“?

Vergangenen Freitag hatte ich Gelegenheit, im Rahmen des HUL-Forschungskolloquiums ein paar Fragestellungen und Ansätze zur Vereinbarkeit von „Rhetorik“, „Hochschuldidaktik“ und „Lehr-/Lernforschung“ vorzustellen und zu diskutieren. Meine These war, dass Rhetorik und Didaktik als wissenschaftliche Disziplinen ähnliche Ziele verfolgen und sich anhand des Vermittlungskonzepts miteinander verschränken lassen. So lässt sich die Rhetorik als ein Teil der Didaktik beschreiben (nämlich als Lehre der strategischen Vermittlung). Umgekehrt stellt die Didaktik einen Spezialfall rhetorischer Kommunikation dar (der erfolgsorientierten Interaktion im Kontext von Lehr-/Lernsettings).

Ich denke, dass beide Disziplinen jeweils voneinander lernen können und der Austausch am Freitag hat mir gezeigt, dass sich vielleicht sogar noch mehr Gemeinsamkeiten beschreiben lassen, als ich erst angenommen hatte:

Zunächst lassen sich beide Disziplinen meiner Ansicht nach an sozialwissenschaftliche Forschung anschließen und programmatisch als sozialwissenschaftliche Teildisziplinen begreifen.

Zumindest im Kontext der institutionellen Verankerung stehen die Fächer „Rhetorik“ und speziell die „Hochschuldidaktik“  m.E. vor ganz ähnlichen Herausforderungen: schon allein, da jeweils eine ganze Reihe von akademischen Veranstaltungen an den deutschen Hochschulen etabliert sind, die unter diesen Schlagworten laufen, dabei aber zumeist im überfachlichen Bereich (oder sogar in anderen Fachzusammenhängen) etabliert sind. Diese Veranstaltungen sind meist in den Lehrbetrieb integriert in Kontexten, in denen es um praxeologische Kompetenzschulung (besonders i.S.v. handlungsleitenden Verhaltenstrainings) geht. Die Kopplung an Forschungskontexte findet dabei viel zu selten statt.

Es wäre naheliegend, hier an die jeweils übergeordneten Wissenschaftssysteme anzuschließen, um beide Fächer als Forschungsdisziplinen zu etablieren und damit stärker wissenschaftlich zu fundieren: Für die Rhetorik wären wohl die Kommunikationswissenschaften, für die Hochschuldidaktik die Allgemeine Didaktik die naheliegenden Kontexte, um sich programmatisch zu positionieren (und sich konzeptionell von den etablierten Praxis-Schulungen abzugrenzen).

Allerdings handelt es sich hier wie dort, im Kontext der Kommunikationswissenschaften wie im Kontext der Allgemeinen Didaktik soweit ich sehe um weitgehend heterogene Forschungslandschaften, die sich ihrerseits aus ganz unterschiedlichen Fachzusammenhängen konstituieren. Ein Großteil der beteiligten Forschungsrichtungen ist dabei in beiden Kontexten vorwiegend empirisch geprägt.

Es ist naheliegend, beide Fächer als Integrationswissenschaften zu begreifen; d.h. als Disziplinen, die versuchen, die jeweils für sie relevanten Teile der fachlichen Diskurse in einem übergreifenden Zusammenhang zu bündeln. Dafür ist aus meiner Sicht zunächst ein Ansatz, der sich dem „Verstehen“ zuordnen lässt, geeigneter als ein Ansatz, der sich als Teil des „Erklärens“ positioniert. Es lässt sich aber auch die Frage stellen, ob man dieses „Schisma“ der sozialtheoretischen Diskussion überhaupt bedienen muss, d.h. ob die Einteilung in diese beiden Bereiche („Erklären“ vs. „Verstehen“) überhaupt aus wissenschaftstheoretischer Sicht zwingend ist.

Mit einem Ansatz der Bildungswissenschaften, der sich „Design Based Research“ nennt, ließe sich die Sache vielleicht etwas eleganter angehen: Dort geht es darum, den Anspruch, eine anwendungsorientierte Wissenschaft zu sein, ernst zu nehmen und Forschung als eine Form des „Problemlösens“ zu verstehen. Aus dem damit verbundenen Anwendungsbezug und dieser Praxisfokussierung heraus könnten dann Aussagen bspw. auch über epistemologische Zusammenhänge abgeleitet werden. (Gabi Reinmanns „Reader zum Thema entwicklungsorientierte Bildungsforschung“ ist in diesem Zusammenhang eine sehr zu empfehlende Lektüre.)

In der Diskussion ging es dann u.a. um das „interpretative Paradigma“ in den Sozialwissenschaften und die Frage, ob dieses im Zusammenhang mit Vermittlungsfragen eine sinnvolle Alternative gegenüber dem „normativen“ oder „präskriptiven“ Anspruch der Hochschuldidaktik darstellen kann (der „präskriptive Ansatz“ der Hochschuldidaktik spielt ja bspw. in der Konzeption von Unterrichtsentwürfen eine große Rolle).

All das ist natürlich alles andere als neu. Zuletzt hat sich Eberhard Ockel aus der Sicht der Rhetorik (unter historischen Gesichtspunkten) mit der Frage beschäftigt, wie sich Rhetorik und Didaktik zueinander positionieren. Er kommt dabei auch zu dem Ergebnis, dass der Vermittlungsaspekt ein wichtiges Moment darstellt:

  • Ockel, Eberhard (1998): Rhetorik und Didaktik. In: Rhetorik. Ein Internationales Jahrbuch. 17, S. 1–16.

Sehr spannend ist in dem Zusammenhang aus didaktischer Warte besonders ein Beitrag von Gabi Reinmann in der Zeitschrift „Erwägen – Wissen – Ethik“, auf den ich leider erst jetzt nach dem Kolloquium aufmerksam geworden bin:

  • Reinmann, Gabi (2012): Interdisziplinäre Vermittlungswissenschaft. Versuch einer Entwicklung aus der Perspektive der Didaktik. In: Erwägen–Wissen–Ethik (EWE) 23 (3), S. 323–340.
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