Streit um Worte?

Auf Twitter verfolge ich im Moment eine interessante Diskussion, die Saskia Esken angestoßen hat. Sie ist von Haus aus Informatikerin und im Moment als Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe Digitale Agenda der SPD-Fraktion tätig.

Frau Esken regt nun an, über den Sinn unserer Konzepte für akademisches Lehren und Lernen nachzudenken, die sich — auch aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung und ihren Implikationen für die Lehre — als nicht mehr passgenau erweisen. Vor ein paar Tagen hat sie die Online-Community dazu aufgerufen, Vorschläge für neue hochschuldidaktische „Labels“ zu formulieren:

Ergebnis des Aufrufs sind eine ganze Reihe an Begriffen, die zum Teil neu sind, zum Teil aber auch in der Scientific Community seit einiger Zeit kursieren, und vorzugsweise munter zum „buzzword bingo“ (speziell beliebt für Antragstellungen) genutzt werden. 

Hier die Liste:

Das hat natürlich etwas für Wirbel gesorgt, und eine Reihe an vorrangig zustimmenden und bekräftigenden Wortmeldungen ausgelöst, die allesamt akademische Lehre kritisch hinterfragen. Inzwischen haben sich auch einige Hochschullehrende in den laufenden Diskurs mit eingeklinkt, darunter u.a. der Marburger Anglist Jürgen Handke:

Handke kommt aus dem linguistischen Feld und beschäftigt sich schon seit längerem mit Fragen innovativer Lehre, speziell im E-Learning. Letztes Jahr hat er den Ars-legendi-Preis für ein Lehrprojekt erhalten, in dem das Konzept des Inverted Classroom umgesetzt wird.

Er hat nun ebenfalls eine konsequente Erneuerung der didaktischen Terminologie gefordert und in diesem Zusammenhang u.a. auch angekündigt, in seinen Veranstaltungen begrifflich umzustellen:

Handke plädiert dafür, in den Ankündigungstexten für seine Lehrveranstaltung nicht mehr als „Lehrperson“, sondern als „Lernbegleiter“ aufgeführt zu werden; weitere Vorschläge, welche Begriffe durch welche anderen ersetzt werden sollten, kann man in einer PPT-Slide seines Vortrags im SH-Landtag vom vergangenen Donnerstag ansehen.

Die Diskussion finde ich wie gesagt sehr anregend und ich finde auch, dass insgesamt ein einheitlicher und terminologisch fixierter konzeptueller Rahmen für die Hochschullehre so gestaltet sein sollte, dass er insbesondere den (veränderten, auch mediatisierten) Bedingungen angemessen ist, unter denen Lehren und Lernen an der Hochschule heute stattfindet. Für eine „breite“ (bspw. hochschulweite) Umstellung müsste man meiner Ansicht nach aber dann gut aufpassen, dass man sich nicht rasch den Vorwurf eines Etikettenschwindels einhandelt, wenn neue Begriffe vergeben werden, sich an der Konzeption aber zunächst nicht viel ändert. Es geht aber ja hier (dem Twitter-Diskurs folgend) vorrangig darum, ein Umdenken zu bewirken, und dagegen ist gar nichts einzuwenden.

Eine Schwierigkeit sehe ich in der Art, wie die Diskussion um „neue“ Konzepte im Moment geführt wird: Die Forderung eines Shift from Teaching to Learning, der mit der geplanten „Umstellung“ zumindest impliziert oder mitgemeint ist, tendiert meines Erachtens immer stärker dazu, das Eine („Lehren“) gegen das Andere („Lernen“) auszuspielen. Zugrunde liegt eine beliebte Argumentationsfigur, die in den letzten Monaten immer häufiger artikuliert wird:

Alles, was in der akademischen Lehre Vortragscharakter oder „Input-„Anteile hat, entspricht nicht der Vorstellung dessen, was „gute Lehre“ ausmacht und wird als nicht mehr zeitgemäß identifiziert. Um sich zu emanzipieren, müsse der „Shift“ vollzogen werden…

Dass man auch anderer Auffassung sein kann, zeigen bspw. Beiträge wie dieser. Ich bin noch nicht sicher, ob ich es sinnvoll finde, eine künstliche Trennung zwischen Lehren und Lernen einzuziehen, die anhand dieses Neu-Etikettierungsvorstoßes im Grunde ja angestrebt wird. Geht es nicht gerade darum, das „Lehren“ (also bspw. die Art, wie in Vorlesungen Wissen vermittelt wird) mit dem „Lernen“ sinnvoll neu zu verknüpfen?

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2 thoughts on “Streit um Worte?

  • Juergen Handke
    1. Juli 2016 at 12:21

    Ab WS 16/17 wird bei mir der Wandel konsequent vollzogen: Lernbegleiter und Lernort als erste Änderungen, und das in „Kursen“ (besser moderierten Lernszenarien“??), in denen ausschließlich Erstsemester sitzen und im ICMM (Inverted Classroom Mastery Format) lernen. Ganz konsequent.

  • EduDada: Geht es noch ums Lernen und Lehren – oder um Kunst? | Secret Cow Level
    26. September 2016 at 17:41

    […] die einen vielleicht mit den Schultern zucken, diskutieren die anderen, warum es Prof. Handke als sehr erfahrenen und als Ars-Legendi-Preisträger offenbar […]

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